Die Constappler Kirchturmuhr

Kirche constappel stich

Zu einem Kirchturm gehört eine Uhr wie das „Amen“ in der Kirche. Das dachten sich auch die Constappler Kirchväter. Dass 1883 der damalige „alte“ Kirchturm eine neue Uhr erhielt, war einem Constappler
Bürger zu verdanken: Johann Gottfried Fürchtegott Mehnert, Privatier. Er schenkte der Kirche für 650 Mark eine neue Kirchturmuhr mit drei Zifferblättern. Der „Contract“ (Vertrag) zum Einbau der Uhr wurde zwischen dem Stifter und dem Kirchenvorstand mit Otto Fischer, Großuhrmacher und Schlossermeister aus Meißen, geschlossen. Jedoch wurde die Uhr bereits im Jahre 1885 an diese Firma wieder zurückgegeben, weil das „schwache Werkchen seines unregelmäßigen Ganges und Schlagens halber zu vielen Ausstellungen Anlass gab“. Und nun beginnt die Geschichte der Kirchenuhr, wie sie sich auch heute noch im Constappler Kirchturm befindet (siehe Grußwort von Pfarrer Bernhardt). Gegenstand des genannten Vertrages ist die im damaligen Katalog, Seite 33, Nr.
27, bezeichnete Uhr (siehe Abbildung) zum Preis von 1100 Mark. Die aus ca. 1600 Teilen bestehende Uhr wurde entsprechend der Größe der Glocken in den inzwischen von Grund auf neu errichteten Turm eingebaut und am 27.5.1886 dem Kirchenvorstand übergeben. Transportiert wurde das wertvolle Stück per Königlich Sächsischer Staatseisenbahn zum Bahnhof Coswig. Springen wir nun in die „Neuzeit“. Die Geschichte der „Zachariä“-Uhr ist in den letzten Jahrzehnten eng verwoben mit der Familie Merten aus Constappel. Mitte Juni haben wir uns in der Constappler Kirche mit den Geschwistern Merten getroffen.
Dabei ist auch das Titelbild mit Antje, Thomas und Sandra vor dem Uhrwerk entstanden. Wir haben uns lange über die Uhr unterhalten. Über alles, was zu erzählen wäre, könnte man eigentlich ein Buch schreiben. Sandra war so freundlich, uns hier als Expertin, auch stellvertretend für ihre Geschwister, einiges Wissenswerte aufzuschreiben.

Die Familie Merten stammt mütterlicherseits mindestens in der 4. Generation aus Constappel und den umliegenden Dörfern. Mitte der 80er Jahre haben die Paten von Antje den Uhren- und Läutedienst übernommen. Die Familie Kaul hat in Constappel die Jugendarbeit organisiert und damals im Pfarrhof gewohnt. 1994 hat Thomas das Ehrenamt rund um die Uhr und das Läuten übernommen, nachdem er in den Jahren zuvor die Urlaubsvertretung hatte. 2003 übernahm Antje und 2008 ging Sandra ans Werk und führt es bis heute weiter. Vor zwei Jahren hat Sandra bereits im Pfarramt gemeldet, dass sie das Ehrenamt aus persönlichen Gründen abgeben möchte, die Uhr jedoch nicht stehen bleiben wird, solange sich niemand findet. Da leider keiner gefunden wurde, soll nun auf Automatik umgestellt werden. Im Übrigen war Familie Merten bereits viele Jahre ehrenamtlich unterwegs, so z. B. hat eine Tante 10 Jahre den Blumenschmuck gemacht für die Kirche und die Mutter der Geschwister führte von 1994 bis 2020 die Kirchenkasse. Den Geschwistern Merten blutet angesichts des bevorstehenden Endes des Uhren- und Läutedienstes das Herz bei dem Gedanken, dass auch hier wieder Wissen rund um die Mechanik und Besonderheiten des Uhrwerks und der Glocken verloren gehen wird. Aber keiner von ihnen ist mehr in der Lage, die Uhr täglich zu betreuen. Nichten in der Familie würden das gern machen, sie sind allerdings für dieses Amt noch zu jung. Die Motivation das Uhrwerk zu betreiben, können die Geschwister nicht genau beschreiben: Es ist ihr Verantwortungsbewusstsein, ihre Wissbegierde zu erfahren, wie etwas funktioniert, die Freude an Tradition und ein wenig Eigennutz. Denn schließlich müssen sie wissen, wann es Zeit ist, zum Mittagessen zu erscheinen und die Uhr sehen sie von allen Ecken ihres Grundstückes.

Wie gelangt man zum Uhrwerk und was ist eigentlich zu tun? Einer der zwei Treppenaufgänge zur Empore führt weitere Treppen hinauf zum Uhrwerk und den Glocken. Zu erklären, welche Handgriffe dazu gehören, ist schwierig. Die tägliche Aufgabe lautet, die drei Gewichte mittels Kurbel hochzuleiern. Sandra sagt dazu: Wir haben dabei eine Kulanz von 30 Stunden (die Schläge setzen früher aus). Das schwerste Gewicht dient dem Stundenschlag, das mittlere dem viertel (1 Schlag), halben (2 Schläge), dreiviertel (3 Schläge) und vollen Stundenschlag (4 Schläge). Das kleinste Gewicht ist der eigentliche „Motor“ und zuständig für die Zeitanzeige. Hinzu kommt das Stellen der Uhr an einem kleinen Zahnrad. Leider ist das innere kleine Zifferblatt, wie auf der Zeichnung im Prospekt abgebildet, nicht mehr da. So ist es eher eine grobe Schätzung. Bleibt die Uhr also mal stehen, dann muss man draußen die Zeit ablesen, wann sie stehen geblieben ist und dann die aktuelle Zeit berücksichtigen. Eine volle Drehung am Zahnrad ist eine volle Stunde, verzählt man sich, rennt man wieder den Turm runter und schaut nach, wo die Zeiger aktuell stehen und rennt wieder rauf, bis es stimmt. Was viele nicht wissen: Die Uhr muss immer 5 Minuten vor gehen, weil sonst der Stundenschlag mit dem Läuten um 8 Uhr / 12 Uhr / 18 Uhr zusammenfällt und das Schlagwerk beschädigt werden kann. Auch muss das Uhrwerk regelmäßig geölt werden. Natürlich haben die Jahreszeiten, sprich die Temperaturen, Auswirkungen auf die Uhr. Man muss wissen, dass die Uhr im Sommer schneller geht als im Winter. Das bedeutet, je nach Temperatur muss auch am Pendel gedreht werden, auch das ist eine grobe Schätzung und bis die Uhr auf beinahe die Sekunde genau läuft, kann eine Woche vergehen. Die Geschwister haben über 25 Jahre Erfahrung, da ist das auch mal in zwei Tagen erledigt. Seit zehn Jahren beschweren sie das kleinste Gewicht zusätzlich, damit auch die Uhr im Winter funktioniert. Aufgrund der Kälte kann es sonst dazu kommen, dass die Zeiger nicht genügend Kraft bekommen, sich weiter zu drehen. Und bei der Zeitumstellung? Im Sommer geht die Uhr eine Stunde vor – das ist eigentlich kein Problem, das geht auch im laufenden Betrieb der Uhr, indem man die Schlagwerke aushängt. Allerdings sollte man bei den Viertel-, Halb-, Dreiviertel- und Um-Schlägen rechtzeitig die Finger vom Zahnrad nehmen, da die Flügel einen sonst ernsthaft verletzen können. Aber das lernt man mit der Zeit. Im Winter ist es etwas kniffliger – da man das Zahnrad nur in eine Richtung drehen darf. Bei der Zeitumstellung im Winter hat man zwei Optionen: Entweder 11 Stunden vordrehen, oder eine Stunde die Uhr stehen lassen. 1995 wurde der Kirchturm komplett eingerüstet. In diesem Zuge wurde der Wetterhahn (ebenfalls ein außergewöhnliches Exemplar; die Sächsische Zeitung berichtete am 28.07.1995 darüber) restauriert und die Zeiger auf allen Seiten abgenommen und wieder auf die gleiche Zeit eingestellt. Da bereits in den mehr als 20 Jahren zuvor das Uhrwerk nicht richtig funktionierte, wurde eine Firma beauftragt, das Schlagwerk wieder ordnungsgemäß in Betrieb zu nehmen. Am Tag von Sandras Geburt (29.07.1995) wurde der Turm dann feierlich enthüllt – sie meint, es mag ein Zeichen des Himmels sein. Leider haben über die Jahre einige Besucher der Kirche den Zugang zum Uhrwerk genutzt und mal eben dran gedreht. Nur leider in die falsche Richtung, was zur Folge hatte, das heute wieder unterschiedliche Zeiten zu sehen sind. Traurig, aber wahr. Da Mertens wissen, wie sie jeweils das Uhrwerk am Tag zuvor hinterlassen haben, können sie genau sagen, wann einer wieder unbefugt an der Uhr war. Was bedeutet für die Constappler das Läuten, wie achtet man darauf? Zusätzlich zum Dienst an der Uhr werden seit 1994, erst mit sehr alter Technik, seit ca. 2015 mit neuer Automatik, die besonderen Feiertage – Karfreitag, Ostersonntag und Silvester – ein- und ausgeläutet. Über die Jahre waren die Geschwister Merten vielerlei Dingen ausgesetzt – sie wurden beschimpft oder mitten in der Nacht angerufen, weil etwas nicht stimmte. Viele „Ureinwohner“ Constappels sind bereits verstorben, neue Menschen sind hinzugezogen. Viele beschweren sich über das Läuten, so musste die Kirche schon oft Kompromisse machen, was die Dauer des Geläuts betrifft. Sandra ist zu Silvester 2014 ein kleines Missgeschick passiert. Sie hatte Silvester für Mittwoch um Mitternacht eingespeichert, weil Sandra da ausnahmsweise einmal fernab ihrer Heimat feiern wollte. So weit so gut, es stimmte auch alles. Allerdings hatte sie vergessen, den Automatikknopf zu aktivieren. Es läutete nicht. Zum Neujahrsgottesdienst wurde dann die Automatik wieder angestellt, so dass der eingespeicherte Mittwoch aktiviert wurde. Am Mittwoch, den 07.01.2015 wurde Sandra kurz nach Mitternacht angerufen und
gefragt, wieso die Glocken läuten. Sie ist mit dem Glockengeläut aufgewachsen, so bekommt sie das also gar nicht mehr mit. Sandra, läuft also mitten in der Nacht im Schlafanzug in die Kirche, hat die Glocken ausgestellt und den Mittwoch aus den Dateien gelöscht. Seitdem läutet sie jedes Silvester und Ostern persönlich. Wenn auch mal eine Viertelstunde zu spät wie Ostern 2021, als sie selbst nach dem dritten Weckerklingeln nicht aufgestanden war. Viele wissen gar nicht, dass die Geschwister Merten die Uhr am Laufen halten und für die nächtlichen Ruhestörungen zu Ostern und Silvester verantwortlich sind. Im Übrigen: Sandra führt seit 8 Jahren Gruppen durch die Kirche mit ihren Besonderheiten und mit einem Blick ins Uhrwerk. Ich als Unkersdorferin habe mich sehr gefreut, die Constappler „Uhrenfachleute“
zu treffen. Mit meinen Recherchen habe ich ohnehin in den letzten Monaten gelernt, mehr über den „eigenen Kirchturm“ hinweg zu schauen. Ganz herzlichen Dank an die Geschwister Merten für ihr Ehrenamt und für das interessante Gespräch. Dabei sagte mir Sandra noch: „Für mich ist die Uhr eine Herzensangelegenheit. Dass sich niemand findet, der täglich ein wenig Zeit opfert, um allen anderen
in gewissem Sinne Zeit zu schenken, der die Verantwortung für ein Meisterwerk der Technik übernimmt und das 365 Tage im Jahr hat mich doch sehr beschäftigt. Ja, nun ist die Zeit gekommen für eine Veränderung und so wird das Ehrenamt ‚an der Uhr‘ mit uns enden, wie es bereits in vielen anderen Gemeinden geschehen ist.“

Mit dem Gespräch mit den Geschwistern Merten am Constappler Uhrwerk wird jedenfalls klar: Die Constappler Kirchenuhr wird weiterhin uns Zeit und Vergänglichkeit anzeigen, aber ganz ohne menschliche
Kontrolle wird es auch in Zukunft nicht gehen. Denn „Zeit ist das, was man an der Uhr abliest“. (Albert Einstein).